Gibt es Wahrheit in der Politik? Etwas einfacher formuliert könnte man auch sagen, geht es um Wahrheit in der Politik.
Oder noch einfacher, Politik und Wahrheit. Die Antwort auf die Eingangsfrage, gibt es Wahrheit in der Politik, lautet natürlich, wie Sie hoffentlich alle wissen, nein.
Das heißt aber nicht, dass es keine Werte in der Politik gibt und dass es nicht um Werte ginge. Also bitte ich, das etwas zu unterscheiden.
Ich spreche zunächst über Wahrheit und komme dann auf den Wertaspekt auch noch.
Wer also jetzt zunächst mal Bedenken hat und mir sagt, ja, das gefällt mir wenig, sollte sagen, ja, aber er will ja nicht über Werte sprechen.
Er spricht ja über Wahrheit jetzt dabei. Beispiele, konkret Politik könnte man jetzt nehmen, Ausstieg aus der Kernenergie.
Ist das eine Wahrheitsfrage? Hat Herr Trittin Recht? Ist es richtig, was er sagt? Ist das die Wahrheit?
Oder Herr Müller, der Wirtschaftsminister, oder die Betreiber von Kernkraftwerken? Offensichtlich gibt es keine Wahrheit dabei.
Und da habe ich selbst mal einen Vortrag gehört mit über 600 Teilnehmern, wo eine sehr engagierte Rednerin sich zu dem Satz steigerte,
was wir mit dem Plutonium machen, ist im Prinzip schlimmer als Auschwitz.
Ich habe als Diskussionsbeitrag unter großem Beifall aller Zuhörer gesagt, na ja, kann man Politik so auffassen,
damit stellen Sie ja nun doch Kernkraftwerksbetreiber, Ingenieure von KWU auf eine Stufe mit Tätern von Auschwitz.
Kann man so moralisieren? Ja, und nochmals Beifall des ganzen eher studentischen Publikums auch.
Offensichtlich eine ganz engagierte Kernkraftgegnerin, überzeugt von der Wahrheit ihrer Idee, ihres Anspruchs.
Offenbar gibt es Wahrheitsansprüche, da aber jetzt andere Menschen auftauchen in der Politik, andere Gruppen mit anderen Ideen
und auch mit Wahrheitsansprüchen, kann man zunächst offenbar wohl nicht festlegen, wer jetzt den wahreren Wahrheitsanspruch vertreten würde.
Warum nicht? Weil es offensichtlich hierbei um Gefühle geht, um Ängste, um Einstellungen, um Lebensformen.
Das ist aber immer in der Politik der Fall. Es geht nie um Abstraktionen.
Zweites Beispiel, und Gefühle sind eben wahr. Wenn ich ein Gefühl habe, ist es wahr für mich.
Wenn ein anderer ein Gefühl hat, ist es wahr für ihn und wir alle sind auch wohl im Konsens, dass Gefühle in dem Sinne
subjektive Wahrheiten sind, aber nicht intersubjektiv verallgemeinert werden können zu Wahrheiten, denen jeder zustimmen muss.
Und wenn nicht, ist er eben ein schlechter Mensch oder moralisch verkommen, wenn er eigentlich sieht, das ist wahr, aber er leugnet es nach wie vor.
Zweites Beispiel, einfacher, 630 Marksgesetze, politischer Streit. Offensichtlich ist keine Position wahr dabei.
Soll man sie besteuern, soll man sie nicht besteuern, soll man sie so freistellen, soll man Beiträge kassieren zur Rentenversicherung?
Positionen stehen sich gegenüber. Hier deutlich sichtbar Interessen kommen ins Spiel.
Man kann hier die Interessen dann aufweisen, die Interessen etwa der Personen, der Menschen, die solch einen Job gerne haben möchten.
Die Interessen von vielen Betreibern, von Gaststätten, Zeitungsverlagen, anderen Betrieben, die gerne solche Arbeitnehmer einstellen möchten,
weil sie keine Probleme haben mit Kündigungsschutz, weil sie Stoßzeiten überbrücken können.
Interessen dann der Gewerkschaften, dass nicht normal Arbeitsverhältnisse sich umwandeln in eine Vielzahl von 630 Marksjobs.
Interessen der Politiker dann auch, dass die Einnahmen der Sozialversicherungen nicht zu sehr sinken. Und die stehen sich alle gegenüber.
Und wer hat Recht? Niemand hat Recht, niemand kann es sagen. Offenbar ist das ein Feld, in dem es nicht um Wahrheit geht, auch noch nicht mal um Recht haben.
Drittes Beispiel, Rentenversicherungen. Jeder weiß, irgendwie muss es verändert werden.
Die Welt hat sich gewandelt, demografische Verhältnisse haben sich gewandelt, viel mehr alte Menschen, die länger leben, weniger junge Menschen.
Produktionswelt hat sich gewandelt, weniger Arbeitsplätze im Prinzip, viel weniger Arbeitszeiten.
Gut, jetzt gibt es Vorschläge. Vorschlag A, Vorschlag B. Man kann eine ganze Reihe von Personen, Parteien aufzählen.
Wieder stehen sich Vorschläge, Ideen gegenüber. Jetzt könnte man sagen, aber es müsste eigentlich auch was Richtiges geben.
Ein sachlichen Gesichtspunkt. Sicherlich gibt es Sachgesichtspunkte, aber die entscheidenden Fragen sind solche, wo jetzt hier Interessen und Verteilungsfragen ins Spiel kommen.
Denn alle diese Entwürfe haben Folgen und belasten unterschiedliche Gruppen in der Gesellschaft unterschiedlich.
Alle Fragen, in denen die Experten in Streit geraten, sind politische Fragen.
Und es sind immer solche Fragen, bei denen wie an den drei Beispielen Emotionen ins Spiel kommen, Ängste ins Spiel kommen, Lebenswünsche ins Spiel kommen.
Erstens. Zweitens. Interessen. Unterschiedliche Interessenlagen. Drittens. Verbunden mit Interessen. Verteilungen. Nutzen und Kosten. Ist unterschiedlich.
Es können eine Schnelltrasse planen, eine Autobahn, einen Flughafen. Es gibt immer die Interessen dafür. Es gibt die Interessen dagegen.
Und Lasten und Kosten verteilen sich immer unterschiedlich für die Anwohner, für die weiteren Anwohner, für Entferntere, für unterschiedliche Wirtschaftsbereiche, für Tourismusindustrie, anders als für einen lokalen Transportunternehmer.
Die Interessen sind unterschiedlich. Sie geraten damit in Streit.
Und damit bin ich bei dem Punkt, wenn wir vielleicht die erste Folie mal nehmen könnten. Was ist denn nun eigentlich Politik?
Man kann es zusammenfassen, dass Politik darin besteht, in solchen Streitigkeiten in der Gesellschaft eine Entscheidung herbeizuführen. Eine Regelung.
Woran liegt es? Die Menschen sind also, wie da links hier in diesem Bereich angedeutet, unterschiedlich. Privat und dann vor allen Dingen auch als Gruppen in der Gesellschaft.
Was ich privat empfinde, ist unbedeutend für Politik. Liebeskummer ist unbedeutend. Hat nichts zu tun mit irgendwelcher Politik und Gesellschaft.
Falls aber mein Liebeskummer darauf beruht, dass andere das gleiche Problem haben, wird es politisch, wenn es gruppenhaft wird.
Politik hat zu tun mit Gruppen. Was sie oder ich allein empfinden, hat keine Bedeutung für unsere Mitmenschen.
Presenters
Prof. Dr. Klaus Rothe
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:27:13 Min
Aufnahmedatum
1999-07-22
Hochgeladen am
2018-05-08 09:10:43
Sprache
de-DE